„Lieber Mucki, heute geht es mir so miserabel. Körperlich wie seelisch. Ich bin wie ein Druckkochtopf dessen Ventil verstopft ist. In mir brodeln Schmerz und Wut um die Wette.“
Das war der Eintrag in mein Trauertagebuch vom 11. März 2023 – zwei Monate nach Muckis Tod.
Ich vermute, du kennst diese Tage auch. Der Tod des geliebten Seelentiers löst eine Flut von Emotionen aus, unter denen Wut oft eine der intensivsten und verwirrendsten ist. Dieses Gefühl mag zunächst fehl am Platz erscheinen – warum sollte man wütend sein, wenn man eigentlich nur traurig sein möchte? Doch Wut ist ein natürlicher und normaler Bestandteil des Trauerprozesses.
Warum fühlen wir Wut in der Trauer?
Retourfrage: Warum fühlen wir uns auch im ganz normalen Alltag manchmal wütend? Stimmt – es gibt sehr viele unterschiedliche Gründe dafür. Und genau so ist es auch in der Trauer.
Wut während der Trauer kann durch viele verschiedene Auslöser und Umstände hervorgerufen werden.
Dein Liebling ist völlig unerwartet gestorben
Ein plötzlicher Tod des Seelentiers kann intensive Wut auslösen. Einer der wichtigsten Gründe ist, dass du dich um Zeit mit deinem Liebling betrogen und unvorbereitet fühlst. Diese Art von Verlust lässt viele Menschen geschockt zurück und auf den Schock folgt oft die Wut.
Du fühlst dich machtlos
Du hast alles getan, um deinen Liebling zu retten und trotz intensiver Bemühungen hast du dein Seelentier nicht retten können. Dieses Gefühl der Machtlosigkeit führt sogar sehr häufig zu Wut, denn die Tatsache, nichts mehr tun zu können, ist oft sehr schwer zu akzeptieren.
Wut ist eine Schwester der Schuld
Manche Menschen empfinden Wut gegenüber Tierärzt*innen, Betreuungspersonen, ja sogar Partner*innen, wenn sie glauben, dass nicht genug getan wurde oder Fehler gemacht wurden. Viele kennen es aber auch, dass sich diese Wut gegen sich selbst richtet und sie entsteht aus dem Gefühl heraus, nicht genug für das Wohlergehen deines Lieblings getan zu haben.
Das Gefühl, alleine gelassen zu werden
Fehlendes Verständnis und mangelnde Unterstützung von Familie, Freund*innen oder Arbeitskolleg*innen können Gefühle der Wut auslösen und verstärken. Du kennst das vielleicht: Wenn deine Trauer nicht ernst genommen wird, fühlst du dich oft isoliert und missverstanden.
Was mache ich nur mit meinem Tag?
Unsere Lieblinge sind ein fester Bestandteil des täglichen Lebens. Wenn sie sterben, hinterlassen sie eine große Lücke, die Wut auf die plötzliche Veränderung und den zusätzlichen emotionalen Stress auslösen kann.
Wenn die Ungewissenheit an dir nagt
Wenn die genaue Todesursache unklar oder umstritten ist, dann führt dies oft zu Frustration. Wir Menschen wollen verstehen und das Bedürfnis nach Klarheit und Verständnis ist ein wichtiger Aspekt der Trauerarbeit. Wenn es nicht befriedigt wird, zeigt sich das in Wut.
Auch Erinnerungen können wütend machen
Bestimmte Orte, Gegenstände oder Situationen, die starke Erinnerungen an deinen Liebling hervorrufen, können durchaus plötzliche Wutausbrüche verursachen. Der Grund ist, dass diese Erinnerungen manchmal sehr schmerzhaft sind und das Verlustgefühl stärker wird. Und das macht in manchen Situationen auch wütend. Das ist zum Beispiel auch bei Jubiläen und bedeutungsvollen Tagen, wie Geburtstage des Seelentiers oder der Jahrestag seines Todes oft der Fall. Diese speziellen Tage reißen alte Wunden auf, erinnern sie doch besonders schmerzlich an den Verlust und können damit das Gefühl der Ungerechtigkeit verstärken.
Wenn du nicht mehr weiterkannst
Wut kann auch dadurch entstehen, dass man zu ungeduldig mit sich ist oder sich das Trauern nicht zugesteht. Zu denken, dass man „schon viel weiter“ sein müsste oder es gar unmöglich erscheint, jemals über den Verlust hinwegzukommen, macht manchmal wütend. Diese Wut hat ihren Grund in der empfundenen Hilflosigkeit.
Jeder dieser Gründe – und es gibt noch viele mehr – spiegelt wider, wie komplex und vielschichtig die Emotionen sind, die der Verlust deines Seelentiers hervorrufen kann.
Der Schlüssel liegt darin, diese Gefühle zu erkennen, anzuerkennen und konstruktive Wege zu finden, um damit umzugehen.
Die vielen Gesichter der Wut
Wut in der Trauer ist nicht immer offensichtlich und kann sich in verschiedenen Formen äußern. Die wichtigsten sind:
Offene Wut
Verbale Ausbrüche, Schreien, aggressive Körperhaltung bis hin zu körperlichen Attacken
Verdeckte Wut
Rückzug, Sarkasmus, Bitterkeit oder passive Aggressivität
Selbstgerichtete Wut
Selbstkritik, Selbstvorwürfe oder selbstschädigendes Verhalten bis hin zur Selbstverletzung
Oft wechseln sich diese Spielarten der Wut auch ab.
Unabhängig von ihrer Form ist Wut zermürbend und kann sowohl die psychische als auch die physische Gesundheit beeinträchtigen.
Umgang mit der Wut
Der erste Schritt im Umgang mit Wut in der Trauer ist: erkenne an, dass sie vollkommen normal ist. Das bedeutet nicht, dass man ihr immer freien Lauf lassen sollte, sondern vielmehr, dass man sich erlaubt, sie zu fühlen, ohne sich selbst zu verurteilen.
Der zweite Schritt ist, Strategien zu finden, um mit der Wut umzugehen. Auch hier gibt es – wie immer beim trauern – kein „one fits all“. Hier sind einige Strategien, die helfen können – schau mal, was gut zu dir passen könnte.
Sprich über deine Wut
Reden ist oft der Schlüssel zur Verarbeitung emotionaler Erlebnisse. Das Gespräch mit Freund*innen, einem Familienmitglied oder Gleichgesinnten – die findest du zum Beispiel in meiner Facebookgruppe Pfotentrauer 🐾 – hilft, die Wut zu verstehen und zu mildern. Manchmal hilft schon das Aussprechen der Gefühle, um sie zu entmachten.
Finde einen (kreativen) Ausdruck für deine Wut
Kreative Tätigkeiten wie Malen, Töpfern, Handarbeiten, Schreiben oder Musik sind gute Wege sein, um Gefühle auszudrücken. Sie bieten dir eine sichere Umgebung, in der du deine Wut leben kannst, ohne dir und anderen zu schaden.
Du weißt, was jetzt kommt, oder?
Jaaaa genau! Ich lege dir aus tiefster Überzeugung wieder das Journaling ans Herz und habe auch gleich einen einfachen und wirkungsvollen Schreibimpuls für dich. Du brauchst nur Stift, Papier und 15 – 30 Minuten Zeit mit dir alleine.
Schreibimpuls: Sei wütend!
Schritt 1: Lass deine Wut raus
Schau dir das Bild oben zu diesem Blogbeitrag an.
Spürst du die Energie, die Furchtlosigkeit und welche Kraft in diesem Wesen steckt?
Nimm nun Stift und Papier zur Hand.
Beginn einen Satz mit „Ich bin wütend …“ und schreib dann einfach weiter.
Lass alles, was auftaucht, aufs Papier fließen.
Schreib über alles, was dich wütend macht. Schreib darüber, wie die Wut sich anfühlt, über deine Rache-Fantasien oder darüber, dass du manche Menschen in bestimmten Situationen am liebsten verwünschen würdest.
Du darfst alles schreiben, niemand wird es lesen! Hab keine Angst vor deiner Wut.
Schritt 2: Hinter der Wut …
Atme drei Mal tief ein und aus, schüttle deine Hände und, wenn du magst, deinen ganzen Körper mal ordentlich aus.
Lies dir alles noch einmal durch.
Was ist die Botschaft, die dir deine Wut geschickt hat? Was möchte sie, dass du weißt oder tust?
Schreibe einen Drei- oder Vierzeiler, der mit den Worten beginnt:
Meine Wut hat mir gezeigt, dass …
Schritt 3: Babystep
Was kannst du in den nächsten 24 Stunden tun, um aus deiner Wut etwas Konstruktives zu machen?
Das muss nichts Großes sein – vielleicht buchst du einfach mal eine Karate-Schnupperstunde, suchst dir im Internet eine passende Meditation, gräbst das Gemüsebeet um, probierst es mal mit Kritzeln oder oder oder!
Begegne deiner Wut mit körperlicher Aktivität
Auch Sport kann ein effektiver Weg sein, um mit Wut umzugehen. Körperliche Anstrengung ermöglicht es, Spannungen abzubauen und Endorphine freizusetzen, die natürlichen Stimmungsaufheller, die das Wunderwerk unseres Körpers produziert.
Beruhige dein überreiztes Nervensystem
Meditative Praktiken können helfen, die Wut zu erkennen und in den Griff zu bekommen, bevor sie überwältigend wird. Achtsamkeit lehrt uns, unsere Gefühle zu beobachten, ohne darauf zu reagieren, was sehr hilfreich sein kann, um die Kontrolle zurückzugewinnen. Ich persönliche begegene meiner Wut gerne mit Yoga Nidra oder einer beruhigenden Yin Yoga-Einheit.
Wenn die Wut zum treuen Begleiter wird
Es ist wichtig zu verstehen, dass Wut nicht sofort verschwindet, nur weil man einmal etwas getan hat. Manche Menschen empfinden über Wochen, Monate oder sogar Jahre mehr oder minder sporadische Wutausbrüche. Langfristig können folgende Ansätze hilfreich sein:
Nimm dir Zeit für dich, deine Gedanken und Gefühle
Regelmäßiges Nachdenken über deine Gefühle und Reaktionen kann helfen, Muster zu erkennen und zu verstehen, was die Wut in dir auslöst.
Aufbau eines unterstützenden Netzwerks
Umgib dich mit Menschen, die verstehen, was du durchmachst und die bereit sind, zuzuhören, wenn dir etwas auf dem Herzen liegt.
Professionelle Hilfe in Anspruch nehmen
Sollte deine Wut deinen Alltag zu sehr bestimmen, scheue dicht nicht, therapeutische Unterstützung zu suchen.
Der Verlust deines Seelentiers ist schmerzhaft, und die Emotionen, die damit einhergehen, sind manchmal überwältigend. Wut ist ein normaler Bestandteil deiner Trauerreise. Es ist wichtig, dir selbst die Erlaubnis zu geben, diese Emotionen zu fühlen und konstruktive Wege zu finden, sie auszudrücken. Indem du lernst, deine Wut zu akzeptieren und zu bewältigen, hast du einen wichtigen Schritt getan, um deine Trauer nach und nach zu bewältigen. Mit meinem Onlinetrauerprogramm der „Pfotentrauerreise“ unterstütze ich dich gerne dabei.
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