„Echt jetzt? Du schreibst einen Trauerratgeber für Menschen, deren Haustier gestorben ist? Und du glaubst wirklich, dass das jemanden interessiert?“
Zack. Das hatte gesessen. Ich fühlte mich plötzlich so klein und merkte, wie mir die Schamesröte ins Gesicht stieg. Zugleich ärgerte ich mich über mich selbst. Warum gibt es immer noch Momente, in denen ich mich für das, was ich tue, schäme, obwohl ich mich mit dem Thema Scham – auch in Bezug auf die Trauer – schon so intensiv auseinandergesetzt habe. Zuerst als Mucki starb und ich mich oft ob meiner eigenen, großen Trauer schämte. Dann als ich Pfotentrauer gegründet habe und viele Reaktionen ähnlich waren wie die eingangs zitierte. Dabei durfte ich im letzten Jahr so oft erfahren, dass ich mit Pfotentrauer Menschen, die um ihr geliebtes Tier trauern, sehr helfe.
Zum Glück kann ich meiner Scham mittlerweile gut begegnen und sie hat mich nicht mehr so fest im Griff. Warum das wichtig ist? Weil wir uns aus Angst vor weiteren Scham-Erfahrungen sonst selbst immer „klein“ halten . Wir sperren unsere völlig berechtigen Gefühle weg und handeln gegen uns selbst. Am Ende fahren wir unseren Lebensweg mit angezogener Handbremse. Für die Trauer selbst heißt das, dass wir auf der Trauerreise kaum vorankommen und es sich der Schmerz mit der Scham bei uns gemütlich macht und nicht mehr wegmöchte.
Scham: Ein Gefühl, das früh beginnt
Schon Kinder ab etwa zwei, drei Jahren beginnen, Scham zu empfinden. In diesem Alter entwickeln sie ein Bewusstsein dafür, wie andere Menschen auf sie reagieren. Wenn sie glauben, etwas falsch gemacht zu haben oder nicht den Erwartungen zu entsprechen, empfinden sie Scham.
Verschiedene Faktoren können die Ausprägung von Schamgefühlen bei Kindern verstärken:
Häufige Kritik oder Ablehnung durch Eltern oder Bezugspersonen kann dazu führen, dass Kinder ein starkes Schamgefühl entwickeln.
Ständige Vergleiche mit anderen Kindern und unrealistische Erwartungen an das Kind können das Gefühl verstärken, nicht gut genug zu sein.
Wenn Kinder ihre Gefühle nicht ausdrücken dürfen oder keine Unterstützung dabei erhalten, lernen sie, ihre Emotionen zu unterdrücken und sich dafür zu schämen.
Kinder brauchen vielmehr Bestätigung und Anerkennung für ihre Bemühungen und nicht nur für ihre Erfolge. Eltern und Bezugspersonen sollten selbst einen gesunden Umgang mit ihren eigenen Gefühlen vorleben.
Je nachdem, wie tief die Scham in uns verwurzelt ist, desto intensiver begleitet sie uns auch als Erwachsene. Oft ist es das kleine Kind in uns, das sich schämt. So ist es auch mir in der oben beschriebenen Situation ergangen. Zum Glück weiß die erwachsene Frau, die ich jetzt bin, wie sie diese Schamgefühle rasch hinter sich lassen kann. Wie ich das gemacht habe, zeige ich dir am Ende des Beitrags.
Gründe für Scham in der Trauer
Scham ist eine komplexe Emotion, die oft auftritt, wenn wir glauben, gegen soziale Normen verstoßen zu haben oder von anderen negativ bewertet werden. Wenn Menschen in deinem Umfeld die Bedeutung deines Verlustes nicht verstehen, fühlst du dich wahrscheinlich unverstanden und isoliert.
Mangel an Empathie kann dazu führen, dass du deine eigenen Gefühle infrage stellst und dich schämst, weil du anders empfindest als erwartet.
Gesellschaftliche Erwartungen
Oft gibt es gesellschaftliche Vorstellungen darüber, wie Trauer auszusehen hat und wie lange sie dauern darf. Trauer um ein Haustier wird oft nicht als gleichwertig mit der Trauer um einen Menschen angesehen. Das kann dazu führen, dass Trauernde ihre Gefühle als weniger „berechtigt“ empfinden.
Unverständnis oder Urteile anderer
Wenn Menschen in deiner Umgebung deine Trauer nicht nachvollziehen können und sie als übertrieben oder unangemessen empfinden, kann das dazu führen, dass du dich für deine Gefühle schämst. Solche Reaktionen können sehr verletzend sein und die Trauer noch schwerer machen.
Vergleich mit anderen
Wenn man sieht, dass andere Menschen in ähnlichen Situationen scheinbar schneller oder anders mit ihrer Trauer umgehen, kann das zu Schamgefühlen führen, weil man sich selbst als weniger stark oder fähig empfindet.
Eigene Erwartungen
Du selbst könntest das Gefühl haben, dass du stark sein und deine Trauer schnell überwinden musst. Diese Erwartungen können zu Scham führen, wenn du merkst, dass du diesen Ansprüchen nicht gerecht wirst. Es ist wichtig zu erkennen, dass Trauer ein individueller Prozess ist und jeder Mensch unterschiedlich damit umgeht und sie unterschiedlich lange sehr intensiv ist.
Scham ist ein tiefes Gefühl der Unzulänglichkeit und Wertlosigkeit, das unser Selbstbild nachhaltig beeinflussen und tiefe und langanhaltende Auswirkungen haben kann. Scham kann soziale Isolation und Vermeidungsverhalten auslösen.
Wie du deiner Scham in der Trauer liebevoll begegnest
Deine Gefühle anerkennen
Deine Trauer ist real und wichtig. Dein Liebling hat dir viel bedeutet, und es ist vollkommen in Ordnung, dass du um ihn trauerst.
Verständnis finden
Suche dir Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. In der Facebook Gruppe Pfotentrauer 🐾 findest du stärkende Unterstützung.
„Wenn du an einen Punkt gelangst, an dem du verstehst, dass Liebe und Zugehörigkeit sowie dein Wert ein Geburtsrecht sind und nichts, das du dir verdienen musst, ist alles möglich.“
Brené Brown (frei übersetzt von mir)
Klare Grenzen setzen
Erkläre deinem Umfeld, warum dieser Verlust für dich so schwer wiegt. Wenn jemand weiterhin kein Verständnis zeigt, zieh dich von dieser Person zurück. Mehr über das so wichtige Thema findest du in „Nein ist ein ganzer Satz: Grenzen setzen in der Trauer“.
Gut zu dir sein
Achtsames Selbstmitgefühl ist der wohl wichtigste Schlüssel. Zuspruch von anderen erreicht uns in diesen Momenten der Scham oft nicht. Um gut für uns selbst zu sorgen, müssen wir mit jenen Teilens des „ich“ Kontakt aufnehmen, die sich schämen, sich klein und irgendwie „falsch“ fühlen.
Am besten geht das mit Stift und Papier nach der „Self-Compassion“– Methode von Kristin Neff.
Ich zeige dir – in gekürzter Form – an meinem Beispiel oben, wie ich dabei vorgehe.
Schritt 1: Die Frage: Wie fühle ich mich dabei?
Kurze Antwort: Mies.
Die Gedanken dahinter: Das ist total lächerlich, was ich da mache. Ich mache mich immer zum Affen, was werden die Leute denken? Warum glaube ich immer, dass ich die Welt verändern kann? Das wird nie etwas. Ich sollte viel lieber etwas machen, das die Gesellschaft als normal empfindet. Ich könnte gerade im Erdboden versinken, ich schäme mich gerade so. Ich fange an, mich zu verteidigen und das macht mich so wütend auf mich selbst. Da gibt´s nichts zu verteidigen!
So viel Scham und Wut – vor allem auf mich selbst.
In diesem ersten Schritt geht es einfach einmal darum, alles niederzuschreiben, was dir so durch den Kopf geht und was du dabei fühlst.
Schritt 2: Lesen, was da steht
Ich lese mir alles noch einmal durch und achte vor allem auf die „nie“ und „immer“ – also auf Übertreibungen oder Dramatisierungen, wie zum Beispiel:
„Das wird nie etwas!“
Woher will ich das wissen? Ganz im Gegenteil: ich bewirke mit Pfotentrauer schon so viel.
Ich markiere mir auch Sätze wie „Was werden die Leute denken?“
Hallo Kindheitsprägung!
In diesem Schritt entdeckst du Glaubenssätze und Denkmuster, mit denen du dich selbst klein machst und zeigst ihnen das „STOPP“- Schild.
Schritt 3: Mensch sein
Was ist das Menschliche an dieser Erfahrung, was verbindet mich dabei mit anderen Menschen?
Wenn ich mich an Neues wage, kann ich immer scheitern. Na und? Viele Menschen konnten neue Projekte nicht (gleich) erfolgreich umsetzen.
In diesem Schritt sehen wir unsere eigene Unvollkommenheit mit den Augen der Liebe und des Verständnisses. Niemand ist vollkommen, wir sind schließlich alle Menschen.
Schritt 4: Liebevolle Worte
Was würde ich zu einer lieben Freundin in der Situation sagen?
Claudia, es ist unglaublich, was du im letzten Jahr auf die Beine gestellt hast. Für jeden einzelnen trauernden Menschen, dem du hilfst, sieht die Welt wieder heller aus. Es ist auch eine normale menschliche Reaktion, dich über dich selbst zu ärgern, wenn du wieder in Rechtfertigungen verfällst, obwohl du es besser weißt. Das passiert vielen Menschen.
In diesem Schritt schenkst du dir Mitgefühl und bist liebevoll zu dir selbst.
Schritt 5: Was brauche ich jetzt, damit es mir wieder besser geht.
Zeit für mich in der Natur wäre jetzt wunderbar. Das hilft mir immer, wieder zur Ruhe zu kommen und klar denken zu können. In der Natur spüre ich so deutlich, dass es der richtige Weg ist. Und dann einen guten Kaffee.
Und genau das habe ich dann auch gemacht.
In diesem letzten Schritt geht es darum, herauszufinden, was dich dabei unterstützt, damit es dir wieder besser geht und wie du dir diese Dinge selbst schenken kannst.
Ich freue mich, wenn du dieses „achtsame Selbstmitgefühl“ bei der nächsten „Scham-Attacke“ ausprobierst. Wenn du Fragen dazu hast, kannst du mir gerne an claudia@pfotentrauer.com schreiben. Ich helfe dir gerne weiter.
Alles Liebe 🫶
Claudia
0 Kommentare